CHU Nr. 1: Qualvolle Schreie
CHU Nr. 1: Qualvolle Schreie


Fairview/Mississippi - 15.01.1968 / 23.00 Uhr
Dunkelheit hatte sich über die kleine Gemeinde im Süden des Bundesstaates gelegt. Schwere Wolken zogen am nachtschwarzen Firmament entlang. Nicht ein Stern war zu sehen, und auch nicht der Mond. Er hielt sich versteckt, als würde ihm vor dem grauen, was sich unten auf der Erde tat. "Walker? Walker, hör mal - ich halte das für keine gute Idee." Die Stimme des jungen Mannes klang schüchtern. Er stand neben der offenen Ladefläche des Pick-ups und starrte auf die Szene, die sich ihm im Schein zweier starker Lampen bot. "Hör zu, Hosenscheißer. Wir haben das doch besprochen. Das kleine Niggerschwein wird heute Abend lernen, was es heißt, sich an ein weißes Mädchen ranzumachen." Clive Walker schaute auf den vor ihm liegenden Mann. Verschnürt wie ein Bündel lag der Farbige Moses Washington im Dreck und rührte sich nicht. Ein Knebel verschloss ihm den Mund, seine Hände und Füße waren mittels dicker Seile gefesselt. "Und? Hast du schon die Hosen voll, Nigger?", fragte Clive spöttisch. "Solltest du auch, denn heute geht es dir an den Kragen. Ihr Schwarzen seid wie die Pest. Gott muss einen wirklich beschissenen Tag gehabt haben, als er euch schuf." Wütend trat Clive zu. Seine Stiefelspitze bohrte sich in den Magen des Gefesselten. Dieser stöhnte gequält auf. "Ja, wimmer nur. Mit dem Lappen im Mund hört dich eh keiner." Anschließend wandte sich der erst 23-Jährige an seinen Begleiter. "Hey, Hosenscheißer - hol mal das Kreuz vom Wagen." "Oh Mann, Walker", murmelte der Angesprochene kläglich. "Ich weiß nicht. Das ist starker Tobak, Mann. Echt starker Tobak." "Mach schon. Oder willst du, dass ich den anderen erzähle, dass du Schiss hattest? Dann schmeißen sie dich raus, Hosenscheißer. Also hol das verdammte Kreuz vom Wagen." Den letzten Satz schrie Clive förmlich. Billy Smithis, sein Freund, zuckte zusammen, als habe er einen Schlag erlitten. Er sprang behände auf die Ladefläche des Fords und wuchtete ein schweres Holzkreuz hinab. "Wie lang ist das Ding eigentlich?", fragte er ächzend. "Drei Meter lang und etwa zwei breit. Keine Ahnung, ich hab es nicht gezimmert." Clive fasste mit an und kurz darauf lag das Kreuz neben dem Gefesselten. "Aber ich werde es heute Abend benutzen. Auf eine Art, wie solch ein Kreuz noch nie benutzt worden ist." Ein hässliches Lachen drang aus seinem Mund, während er sich nach vorne beugte und die Seile durchtrennte, die Moses Washingtons Hände banden. "Und jetzt legen wir ihn auf das Kreuz. Mach schon, Hosenscheißer. Komm her und hilf mir. Und du", wandte er sich an Moses, "bist schön artig. Komm bloß nicht auf die Idee, dich zu wehren. Das kann ich nämlich gar nicht ab. Hast du mich verstanden?" Der Farbige nickte nur. Er wusste nicht, was seine Peiniger mit ihm vorhatten. Aber das sollte er bald erfahren. Die beiden Männer griffen erneut zu. Diesmal war es Moses, den sie zur Seite wuchteten. Nur einen Moment dauerte es, dann lag der Mann mit dem Rücken auf dem Kreuz. Seine Beine waren noch immer gefesselt, seine Hände hingegen nicht. "Streck sie aus, Nigger. Du weißt schon - so wie unser Erlöser auch am Kreuz hing." In dem Moment ahnte Moses, was passieren sollte. Seine Augen weiteten sich, während er heftig den Kopf schüttelte. "Nein?", giftete Clive. "Nein? Dann muss ich wohl nachhelfen." Er sprang auf und trat seinem Opfer in die Seite. Wieder war ein unterdrücktes Stöhnen zu hören. Doch noch immer folgte Moses nicht der Aufforderung, die Arme auf den Querbalken zu legen. Also kassierte er noch einen Tritt, diesmal in seine Hoden. Trotz des Knebels war ein Schrei zu hören. Tränen schossen in die Augen des Mannes. Zögerlich breitete er seine Arme aus. "Warum nicht gleich so, Boy? Hättest dir die Tritte ersparen können. Und jetzt ..." Clive ging zu seinem Wagen und holte eine Werkzeugkiste. Aus ihr fischte er einen Hammer und mehrere große Nägel. "Hosenscheißer - knie dich auf seine Arme." Moses wusste, was kommen würde. Er sah den Hammer sowie die Nägel und spürte das Holz unter seinen Handrücken. Es gab nur eine Möglichkeit.


eBook von G. Arentzen, erschienen im Juni 2006, Titelbild: Meike Förster