Jaqueline Berger Nr. 4: Das Auge des Magiers
Jaqueline Berger Nr. 4: Das Auge des Magiers


Love me tender, love me long …
Der alte Elvis-Song plärrte aus den Boxen des Weltempfängers. Lorenzo Bernudo mochte den King. Aber nicht nur ihn. Er mochte überhaupt die gute, alte Musik, wie er es nannte. Alles, was sie damals, als er noch ein junger Mann gewesen war, gespielt hatten, gefiel ihm. Elvis Presley eben, aber auch die Platters, die Shirells und wie sie alle hießen. Bernudo hatte sich eigens hierfür diesen Weltempfänger zugelegt, denn mit ihm bekam er die meisten Oldiesender Europas rein. Mit ihnen, so sagte er seiner Frau stets, könne er jede noch so öde und langweilige Nachtschicht überstehen. Bernudo mochte seinen Job als Nachtwächter in dem kleinen Archiv. Hier lagerten jene Bücher und Aufzeichnungen, welche über die Jahrhunderte hinweg angefallen waren und teils das große Weltgeschehen, teils aber die kleinen Begebenheiten dokumentierten. Randnotizen oft, vergessen von den Historikern und nicht zu finden in irgendwelchen Geschichtsbüchern. Manchmal streifte sich Lorenzo Bernudo die weißen Handschuhe über und begann, in einem dieser alten Folianten zu schmökern. Obwohl es eigentlich verboten war, die Werke nur der Wissenschaft zur Verfügung standen. Aber dies interessierte den schon 60-jährigen Mann nicht weiter. In den 70ern war er nach Deutschland gekommen, hatte sich als Spaghettifresser beschimpfen lassen müssen und es trotz alledem geschafft, seinen Weg zu gehen. Seine Frau – Maritta – war Deutsche und auch seine Kinder Emilio und Sandra. Vor ein paar Jahren dann hatten sie ihn entlassen. Einfach so. Zu alt, hatten sie gesagt, und zu wenig Arbeit. Junge Mitarbeiter wurden gebraucht, die sich mit den modernen Maschinen und Computern der Fabrik auskannten. Für ihn war kein Platz mehr im täglichen Wettlauf um Marktanteile, Verkaufszahlen und Innovationen. Für ihn war es sogar schon schwierig geworden, sich die ganzen Produkte einzuprägen, die täglich über seine Theke gingen. Nudeln in verschiedenen Soßen, Nudeln ohne Soße, Soße ohne Nudeln und Suppen. Dann noch … Als sie ihn entließen, traf es ihn dennoch hart. In seinem Alter, das wusste er, würde er nirgends mehr einen Job finden. Nicht mehr in einer Fabrik und auch sonst wo nicht. Selbst das Arbeitsamt hatte ihm keine Hoffnungen machen können und auf Frührente gedrängt. Diese bekam Bernudo inzwischen auch, hatte es aber gleichzeitig geschafft, in diesem Archiv eine Stelle als Nachtwächter zu finden. Nicht sonderlich gut bezahlt, aber mit der Rente zusammen standen sie nun besser da als zuvor. Und es machte ihm Spaß, in aller Ruhe durch die Gänge und Räume des Gebäudes zu wandern, in den Büchern zu schmökern oder einfach nur auf seinem Platz zu sitzen, um Radio zu hören. Seit drei Jahren machte er dies nun, und noch nie hatte er die Polizei verständigen oder im Hause des Archiv-Leiters anrufen müssen. Niemand brach ein und keiner hatte Interesse an den verstaubten Schriften in den hohen Schränken und Regalen. Tagsüber war es wohl anders. Da musste hier richtig viel Betrieb herrschen. Das zumindest hatte ihm Fritz erzählt, der die Tagschicht hatte. Wissenschaftler und Journalisten gingen ein und aus, es kamen neue Werke hinzu oder alte wurden restauriert. Ein Treiben, von dem Bernudo nichts mitbekam. Wenn er um acht seinen Dienst antrat, war die Putzfrau durch und der letzte Mitarbeiter längst gegangen. Um fünf wurden die Türen geschlossen, um sechs ging das Licht aus. Mike, ein Kollege für die Nacht, den er einen Monat zuvor angelernt hatte, kam stets mit Notebook. Das schloss er dann an die Standleitung des Archivs an, um ungestört im Internet zu surfen. Bernudo hatte ein paar Mal versucht, bei eBay zu bieten – vergebens. Die moderne Technik war nichts für ihn, da biss die Maus den Faden nicht ab. Der Italiener setzte sich zurück und schloss die Augen. Elvis war verklungen, und nun sang Roy Orbison sein Lied vom blauen Kalifornien. Das Rätselheft lag auf dem Tisch und auch ein Roman von Eco. Bernudo hatte „Der Name der Rose“ gelesen, dann „Das Foucaultsche Pendel“, und nun wagte er sich an „Baudolino“ heran. Ob seine Liebe zu diesem Autor daher rührte, dass beide aus der gleichen Gegend Italiens stammten – nahe der Stadt Turin? Oder war es einfach der Stil des großen Autors? Benudo wusste es nicht. Aber er wusste, dass seine Frau diese Bücher nicht mochte. Maritta las lieber „Harry Potter“, und den konnte er nicht leiden. Regen fiel. Er prasselte auf das Flachdach des Gebäudes, perlte von den großen, kuppelförmigen Glasfenstern ab, die wie Pickel in die Höhe ragten, und sammelte sich in den metallenen Rinnen, um gurgelnd im Boden zu verschwinden oder das Fass im Garten hinter dem Haus zu füllen. Ein ungemütliches Wetter, welches den Mann frösteln ließ, wenn er nur an seinen Feierabend dachte. Obgleich es bis dahin noch viele Stunden waren, denn gerade erst waren die Mitternachts-Nachrichten durch. Tagwende, Geisterstunde. Er hatte sich nie etwas aus Spukgeschichten gemacht. Obwohl ihm seine Großmutter fast jeden Tag ein Schauermärchen erzählt hatte. Damit er besser schlief, die Sorgen vergaß, welche die Schule mit sich brachte, oder einfach so. Als Bernudo ein Kind war, hatten sie keinen Fernseher gehabt. Nur das Radio sorgte für Unterhaltung – und eben Großmutters Schauergeschichten von Geistern, Dämonen und Vampiren. Für ihn waren das alles Hirngespinste, Dinge, mit denen man sich nicht abgeben musste. Vielleicht war dies auch der Grund, warum er dem Zauberlehrling aus England so wenig abgewinnen konnte. Lächelnd dachte er an seine Frau, die nun im Bett lag und den fünften „Harry Potter“ las. Wie viele Seiten mochte sie schon haben? Hundert? Zweihundert? Sie konnte fanatisch sein, was das betraf. Manchmal … Er stutzte. Tief im Inneren des Gebäudes war ein Geräusch erklungen, wie er es noch nie zuvor gehört hatte. Und dabei bildete er sich ein, inzwischen jeden einzelnen Laut zu kennen, den dieses Haus von sich geben konnte. Dieser hier war anders als alle, die er je gehört hatte. Ein tiefes Klong, das sich zu seinem Erstaunen noch zweimal wiederholte. So als würde Metall auf Metall schlagen. Eigentlich gab es dafür nur eine Erklärung – jemand versuchte, die Verriegelung der Fenster gewaltsam zu öffnen, um …


Rezension von Benfi:


Kurzbeschreibung:
Während Linda Zimmermann zu einem Fall nach Aschaffenburg/Deutschland gerufen wird, da dort bei einer versuchten Brandstiftung in einem Archiv eine blutleere Leiche entdeckt wird, verweilt JB in Wien/Österreich, um durch Lady Bayron mehr über ihren Dolch, als auch über die Gesellschaft der Vampire zu erfahren. Dabei wird ihre Zuneigung zu Diana-Marie noch größer und die Vampirin mixt ihr schließlich einen Cocktail mit ihrem Blut, der Jaqueline einen Großteil der Vampirfähigkeiten zukommen lässt! Außerdem wohnt sie einer Sitzung des Rates der Vampire bei, obwohl dieses Menschen vergönnt ist! Den Rat stört immer noch das Bestreben des Antoine Delacroix, den Folianten der Wahrheit zu bekommen. Da dieser vernichtet ist, versucht er es nun über das Manuskript des Aleister Crowley, in dem dieser sich mit dem Thema Zeitreisen beschäftigt, eine eben solche anzutreten und so das gefährliche Buch zu ergattern! So fahren Jaqueline, Linda und Lady Bayron nach Meienhardt/ Deutschland, um dort bei einer Wanderausstellung das Auge des Magiers einem magischen Amulett - zu bewachen. Dieses benötigt Delacroix nämlich, um in die Vergangenheit zu reisen. Doch der Vampir überrumpelt die Drei und gelangt an das Auge des Magiers. Als die Dinge sich zu überstürzen scheinen, wird Jaqueline mit in das Zeitloch gezogen. So versucht sie in einer ihr fremden Welt mithilfe der damals schon lebenden Lady Bayron Antoine Delacroix Einhalt zu gebieten. Ein fast unmögliches Unterfangen!


Meinung:
Der vierte JB Roman teilt sich eigentlich: im ersten Teil werden recht viele Dinge erklärt, wie z.B. den Rat der Vampire oder die Funktion der Lady Bayron. Desweiteren wird man langsam in die eigentliche Handlung eingeführt, die sich im zweiten Teil dann regelrecht überschlägt! Dabei hätte JBs Zeitreise Stoff für einen Doppelband geboten. Vielleicht wäre es hier besser gewesen, die erste Hälfte etwas zu kürzen, um der zweiten mehr Raum zur Entfaltung zu geben. Insgesamt ist die Geschichte immer noch gelungen und fesselt den Leser - besonders der zweite Teil - , doch irgendwie hätte aus diesem Roman mit dieser Menge an Inhalt mehr gemacht werden können!


Besonderheiten:
- Jaquelines erste Zeitreise
- der Rat der Vampire wird erstmals erwähnt
- Lady Bayron wird als Großjägerin 'entlarvt'


3 von 5 möglichen Kreuzen:
3 Kreuze


Kommentare zum Cover:

Das Bild zeit im Grunde nur einen Feuerring auf einer Art Wasserfläche. Ich gehe mal davon aus, daß er das Zeittor, das im Roman vorkommt, darstellen soll, doch sicher bin ich mir da nicht. Irgendwie alles wenig aussagend...


Coverbewertung:
1 Kreuz