Jaqueline Berger Nr. 6: Der Kelch der Hexe
Jaqueline Berger Nr. 6: Der Kelch der Hexe


Das Haus lag in tiefer Dunkelheit. Wind strich um die Mauern, drang durch die zerbrochenen Scheiben ins Innere ein und wehte das Laub auf, welches hoch, sehr hoch auf den Wegen und dem Rasen lag, der das Gebäude umgab. Bäume reckten ihre kahlen, dürren Äste in den Nachthimmel. So als wollten sie die Natur anklagen für das, was sie mit ihnen getan hatte. Kein Licht erhellte den Garten oder das Haus. Selbst der Mond hielt sich hinter dichten Wolken verborgen, die einem endlosen Band gleich über das Firmament zogen. Eng aneinander gereiht, in bizarren Formen und Figuren. Früher einmal hatten in diesem alten Haus Menschen gewohnt. Aber das lag schon lange zurück. Jahre. Jahrzehnte. Inzwischen waren sie alle fort; gestorben oder weggezogen. Das sah man auch. Farbe blätterte von den Mauern, Fenster und Türen ab, die dennoch dem Wetter zu trotzen schienen. Der Garten, einst von Rosenhecken umsäumt, war verwildert. Unkraut wucherte zwischen den Steinen der Wege empor, bedeckte die Zufahrt, welche zu einer erst später angebauten Garage führte, und rankte sich um das Eisengitter, welches das Grundstück zur alten Straße hin abgrenzte. Zwar blühten die Rosen noch manchmal, doch sie verschwanden unter den Gräsern und Farnen, unter dem Unkraut und auch unter dem Laub, welches niemals weggeräumt wurde und sich darum auftürmte. Bäume warfen lange Schatten, trugen im Frühling und im Sommer ihr Blätterkleid, um es im Herbst zu verlieren und nun – im Winter – kahl da zu stehen – als Symbol der Vergänglichkeit und Wiedergeburt der Natur. Die Menschen in dem kleinen Ort machten einen weiten Bogen um das Haus. Es sei nicht geheuer, hieß es, und darin würde das Böse wohnen. Obgleich niemand so genau wusste, was das Böse eigentlich sein sollte. Doch alle wussten, dass man sich vor dem Grundstück und vor allem vor dem Inneren des Hauses hüten sollte. Menschen seien darin umgekommen oder verschwunden, so erzählte man sich. Tiere, die durch die zerbrochenen Scheiben hineingekrochen seien, hätte man in höchster Not schreien hören. Waren es Legenden? Waren es die typischen Spukgeschichten, wie man sie sich vielerorts erzählte? Ursprünglich ausgedacht, um Kinder abzuschrecken? Verselbstständigte Märchen, die sich als Legende verbreitet hatten, mehr und mehr Nahrung erhielten und schließlich als Tatsache gelten durften? Keiner aus dem Ort wusste es und keiner hatte Lust, der Sache auf den Grund zu gehen. Das Bohrmann-Haus, wie es hieß, war ein verwunschener Ort, den man mied. Fremde hingegen waren schon immer angetan gewesen von den Geheimnissen und Mythen, welche sich um dieses Haus rankten. Touristen erfuhren in den Wirtshäusern vom Bohrmann-Haus, bekamen die Geschichten detailreich und blutig ausgeschmückt in immer neuen, immer üppigeren Varianten serviert. Also zogen sie los, um sich das Haus anzusehen. Und es wirkte ja auch gruselig mit seinen verschnörkelten Mauern und den zu Fratzen umgeschmiedeten Wasserrinnen. Der verwilderte Garten sowie das rostige Eisengatter taten ein Übriges, um das Bohrmann-Haus als Spukgebäude erscheinen zu lassen. Zudem brach sich der Wind nur allzu oft in den alten Schindeln, fuhr durch die Zimmer und die Gitterstäbe des Zauns, so dass heulende, schaurige Laute entstanden. Zwar konnte man diese Geräusche erklären – aber wer wollte dies schon, wenn sie zu einem Geisterhaus passten? Als mit den 80er Jahren der Okkultismus eine Renaissance erlebte, geriet auch das Bohrmann-Haus in den Blickwinkel des allgemeinen und speziellen Interesses. Wissenschaftler aus Freiburg kamen, um sich das Gebäude anzusehen. Manche glaubten, merkwürdige Begebenheiten auszumachen, und andere waren letztlich davon überzeugt, urbanen Legenden aufgesessen zu sein. Abschließend beantwortet wurde die Frage, ob es sich bei diesem Gebäude um ein Spukhaus handelte, jedoch nie.


Rezension von Benfi:


Kurzbeschreibung:
Das Bohrmann-Haus im tiefen Odenwald: immer wieder verschwanden seit dem mysteriösen Tod der einstigen Besitzerin Grete Bohrmann im Jahre 1852 in ihm zuletzt in den Achtziger Jahren. Nun bekommen Jaqueline und Linda von Professor Markus Mederer Universitätsdozent für Psychologie und ihren Randgebieten - den Auftrag, die Rätsel um das Haus aufzuklären. Da auch ihr unbekannter Arbeitgeber dahinter steht, nehmen sie den Job an. Schnell stoßen sie trotz der tatkräftigen Unterstützung ihres Technikgenies Roger, sowie dem Professor und seiner besten Studentin Nina Liebmann an ihre Grenzen und fordern durch Jaquelines Geliebte Diana-Marie einen Experten an. Doch auch dieser - der britische Vampir Charles Blair - kann nur Hinweise geben! Jaqueline muss ins Zwischenreich, um den Fluch vom Haus zu nehmen und die Studentin Nina wieder zurück in das Hier und Jetzt zu holen. Denn sie wurde zwischenzeitlich schon das Opfer der Geheimnisse um das Haus und der Hexe Grete Bormann! Und es bleiben nur 24 Stunden, um ihr Leben zu retten! Doch im Zwischenreich erfährt Jaqueline, dass sie den Kelch der Grete Bohrmann vernichten muss! In diesem befand sich der Zaubertrank, mit dem die Frau unsterblich werden wollte - das Experiment schlug allerdings fehl. Diesen Kelch besitzt aber niemand anderes als Abaddon, Jaquelines größter Feind!


Meinung:
Der sechste JAQUELINE-BERGER-Roman ist schon seltsam aufgebaut. Anfangs meint man, dass die Handlung etwas in die Länge gezogen wurde. Gegen Mitte des Heftes nimmt die Handlung Fahrt auf und bietet am Ende ein Quell an Geschehnissen und Überraschungen. JB reist durch Dimensionen; das komplette Waffenarsenal wird aufgefahren und einige neue Charaktere werden auch noch zu sämtlichen bekannten Figuren eingeschoben. Und am Ende weiß man nur eines sicher: etwas Großes kommt auf JBs kleine Truppe zu! Ein interessanter, flüssig zu lesender Roman mit tollen Gruselpassagen in dem unheimlichen Haus. Leider aber auch etwas zuviel des Guten: die Organisation SSSK, die Andeutungen des Dämons Abaddon und die kleinen Hinweise zu JBs Waffen; dem eigenartigen Verhalten des unbekannten Bosses, die Berichte von JB und Linda einer Universität zur Verfügung zu stellen, Sprünge ins Zwischenreich; in Abaddons Reich; Hilfe aus Avalon; eine Riesenmenge Stoff für einen einzigen Roman!


Besonderheiten:
Erscheinungsdatum: Dezember 2004
- erstes Auftreten der SSSK (Society for Supernatural Science and Knowledge)
- erstes Auftreten des Vampirs Charles Blair


4 von 5 möglichen Kreuzen:
4 Kreuze


Kommentare zum Cover:

Wenn es in dem Roman eine Feuerhexe gegeben hätte, dann wäre das Cover etwas logischer gewesen. Ansonsten eine nette Standardarbeit der Zeichnerin. Sie verwendet ja gerne den Kopf einer Figur und einige atmosphärische Elemente drumherum; wie hier diese feurige Fläche.


Coverbewertung:
2 Kreuze