Monstrula Nr. 46: Die Gruft der bleichen Gebeine

Monstrula Nr. 46: Die Gruft der bleichen Gebeine


Verkrüppelte Weiden streckten anklagend ihre knorrigen Äste gegen den nächtlichen Himmel. Sumpftiere erfüllten die Luft, die nach Moder roch, mit ihren klagenden Rufen. Wasser gluckste, Moorgase stiegen zischend und Blasen werfend an die Oberfläche kleiner schwarzer Tümpel. Ein schwacher Windhauch strich über das Moor, aus dem Grasbüsche wie Inseln ragten. Die festeren Flächen bildeten bizarre, verwirrende Muster, die schon manchen Wagemutigen verlockt hatten, seinen Fuß auf den trügerischen Untergrund zu setzen. Viele von ihnen waren nie zurückgekommen. Ihre Gebeine moderten in den schwarzen Tiefen des Moors. Seit alten Zeiten machten die Menschen von Marston, einer kleinen ostenglischen Stadt, einen weiten Bogen um das Moor. Sie fürchteten die Irrlichter, die ihnen tanzend den geraden Weg in den Tod beleuchteten. Sie hörten nicht auf den todkündenden Ruf des Käuzchens, das in den ringsum liegenden Wäldern schrie. Doch nicht nur seiner Gefährlichkeit wegen scheuten sich die Leute aus Marston vor dem Moor. Schon ihre Ahnen hatten eine Legende erzählt, daß eines Nachts aus dem Moor das Verderben hervorkommen und das umliegende Land in Angst und Schrecken stürzen werde. Die einen glaubten fest daran, daß sich diese Legende erfüllen werde, die anderen hielten sie einfach für eine Geschichte. Gemeinsam war allen Einwohnern Marstons nur die Furcht vor dem Moor. Und noch etwas hatten sie gemeinsam, doch das wußten sie noch nicht. Sie alle hatten keine Ahnung, daß sich in dieser Nacht die Legende bewahrheiten sollte. In dieser Nacht würde sich die Gruft der bleichen Gebeine öffnen.


von M.R. Richards, erschienen am 07.06.1976, Titelbild: Lührs