Schattenreich Nr. 6

Schattenreich Nr. 06


"Ein Schnitter Namens Tod" von Charlotte Engmann
Lukas legte den Hörer zurück auf die Telefongabel, stand vom Schreibtisch auf und trat an das Fenster seines Arbeitszimmers. Über dem Siebengebirge erklomm der zunehmende Mond das Firmament und tauchte die bewaldeten Hänge in silbernes Licht. Der rotblonde Vampir seufzte lautlos. Der Blick seiner wasserblauen Augen ging ins Leere. Seine Gedanken waren bei Perdita. Sie war nicht Fleisch von seinem Fleisch, jedoch Blut von seinem Blut - und seine Tochter war die Gefangene des Schwarzmagiers und Nekromanten Waidinger.


"Die goldene Ziege" von Luc Bahl
Die Wachen ließen sie ungehindert passieren. Es blieb ihnen auch gar nichts anderes übrig bei diesem Andrang, denn alle wollten beim diesjährigen Fest dabei sein. Der Blinde Werring stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie endlich aus der sengenden Gluthitze der Hochsommersonne durch das große Tor in die kühlen, schattigen Gassen Chorfstadts traten. "Ahh...", grunzte da der blonde Hüne direkt neben ihm. "Werring, da! In Voitans Namen! Das nenn ich ein Weib." Werring spürte, dass sich sein Begleiter entfernen wollte. Sehen konnte er das nicht, denn er war so blind, wie sein Name vermuten ließ. "Was für ein Weib! So groß, so kräftig, so schön..." "Bär! Reiß dich zusammen!" Werring konnte den Geifer regelrecht hören, der im Mund seines Freundes zusammenlief. "Will das Weib haben!" Die stampfenden Schritte des Hünen entfernten sich.


"Der Vampir von Mailand" von Marc Tammous
Von einer Sekunde zur anderen wusste Dan Walker, dass er nicht mehr allein war.Dennoch tat er so, als habe er die Gestalt nicht bemerkt, die ihm auf leisen Sohlen durch Mailands enge Gassen folgte und dabei darauf bedacht war, sich vom Licht der spärlich gesäten Straßenlampen fernzuhalten. Walker dachte nicht daran, seinen Schritt zu verlangsamen oder gar über seine Schulter zu blicken, wie es jeder Anfänger getan hätte. Sein Mundwinkel zuckte nach oben, als er den Schatten bemerkte, der rechts an ihm vorbeikroch.Seine Halsschlager begann hektisch zu pochen. Gebannt beobachtete er, wie der Schatten länger wurde. Kam ihm sein Verfolger näher, oder lag es nur an der sich mit jedem Schritt verändernden Beleuchtung? Egal, Walker hatte genug von diesen Spielchen!


erschienen am 21.12.2004, Titelbild: Fiedler