Silber-Grusel-Krimi Nr. 81 (NA): Die Gehirne des Dr. Satanas
Silber-Grusel-Krimi Nr. 81 (NA): Die Gehirne des Dr. Satanas


Er sah, wie ein Leib in den Sarg gelegt wurde, wie er drei Tage später in der dunklen Grube verschwand und dumpf dröhnend die feuchte, schwere Erde dieses verregneten Junitages auf den Sargdeckel klatschte. Das alles hatte er mitbekommen. Seine Zellen waren noch nicht alle abgestorben gewesen. Dies war ein Beweis für seine Theorie, daß es über den Tod hinaus eine Verbindung zu dem Leib gab, der ihm siebenundvierzig Jahre lang als Hülle gedient hatte. Aber er war nicht nur reiner Geist. Etwas von seinem Leib lebte noch. Das wichtigste aller Organe: Das Hirn. Er dachte, fühlte und nahm Bilder auf. Aber es waren Bilder aus seiner Erinnerung. Er wußte, daß er an einer komplizierten Apparatur angeschlossen war, daß er gehegt und umsorgt wurde, daß sein großartiges Hirn in einer Flüssigkeit schwamm, die es ständig umspülte, die ihn mit Nahrung und Sauerstoff versorgte. Er hätte zu gern gewußt, wie das aussah. Aber den Blick nach außen, den gab es nicht. Er besaß keine Augen mehr. Alles war wie ein Traum. Und langsam wurde sein Dasein zu einem Alptraum. "Ich fühle meine Beine, ich möchte gehen, aber ich habe keine mehr, mein linker Arm schmerzt, etwas stimmt nicht. denn ich habe keine Arme mehr. Ich möchte etwas sagen, die Worte liegen mir auf der Zunge, ich kann nicht aussprechen. Ich bin nur noch Hirn. Ich muß mich ihnen bemerkbar machen, ihnen mitteilen, daß ich nicht mehr leben will, so nicht mehr..." Ihnen - das waren Daisy, seine Frau, und Philip, sein Freund und Kollege aus dem St. Anne's Hospital, der die Operation vorgenommen hatte. "Ich möchte tot sein! Schaltet die Apparatur ab!" schrie es in ihm. "Könnt ihr mich denn nicht hören? Daisy? Phil? Macht ein Ende! Ich habe alles falsch gemacht. Es lohnt sich nicht, so zu leben ... ein Leben ohne Körper!" Zweifel stiegen in ihm auf. Ängste. Die Martern kamen wieder. Entsetzliche Schmerzen peitschten ihn. Er fühlte so, als ob sein Körper. noch existiere.Er wollte den Tod überwinden. Er hatte ihn überwunden! Nun bereute er sein Vorgehen. Nun würde alles nach dem Plan ablaufen, den er mit Daisy und Phil besprochen hatte, als er sich entschied, die Operation durchführen zu lassen. Er konnte sich nicht bemerkbar machen. Er war allein in seiner stillen, dunklen Welt, die nur von den Bildern seiner Erinnerung erhellt wurde.


von Dan Shocker, erschienen am 07.12.1976, Titelbild: ???

Rezension von Florian Hilleberg:


Kurzbeschreibung:
Der geniale Hirnchirurg Dr. Frank Mallert vertritt die Theorie, dass der menschliche Körper mit all seinen Organen das Potenzial hat mindestens einhundertfünfzig bis zweihundert Jahre alt zu werden. Insbesondere das Gehirn fällt in zunehmenden Maße den Gebrechen des restlichen Körpers zum Opfer. Daher verfügt Mallert nach seinem Tod, dass sein Gehirn separat vom Körper genährt und stimuliert werden soll. Die Durchführung und Fortsetzung seiner Forschungen soll sein Freund und Partner Dr. Phil Racker vornehmen. Dr. Frank Mallert ist nur noch reines Gehirn, ohne Körper und ohne Sinnesorgane. Doch einige Hirnzellen beginnen ihre Funktion zu ändern und neue Fähigkeiten zu entwickeln, um die Umwelt wahrzunehmen. Auf diese Theorie setzt auch Dr. Satanas, der Racker und dessen Geliebte, die Witwe von Dr. Frank Mallert beseitigt, um selbst weiterzuforschen. Er verbindet das Gehirn von Dr. Phil Racker, eines weiteren Hirnchirurgen und eines parapsychisch begabten Mädchens mit dem Gehirn von Frank Mallert. Das Superhirn wächst und entwickelt unglaubliche Fähigkeiten. Dank seiner hypnotischen Kräfte gelingt es Satanas das Hirn zu steuern. Doch da ist ihm die PSA längst auf die Spur gekommen und schickt seine beiden besten Agenten: Larry Brent, alias X-RAY-3, und Iwan Kunaritschew, alias X-RAY-7. Allerdings ahnen beide noch nicht im Geringsten, mit wem sie es wirklich zu tun haben…


Meinung:
Nirgends konnte Dan Shocker sein Misstrauen und seine Aversion gegen Ärzte und moderne Medizin besser verarbeiten als in den Romanen mit Dr. Satanas. Dieses Mal hat sich der Menschenfeind die Gehirnchirurgie als Betätigungsfeldzug ausgesucht. Erinnert die Geschichte noch zu Beginn an eine Neuauflage des Science-Fiction-Klassikers "Donovans Hirn", von Curt Siodmak, so entwickelt sich die Handlung mit dem Eingreifen des Dr. Satanas in eine waschechte Trashorgie a la Jack Arnold. Das ist gewiss nicht negativ zu verstehen, denn gerade durch diesen plakativen Plot erhält die Geschichte einen ganz eigenen Reiz. Das riesige Kollektivhirn entwickelt binnen kürzester Zeit die Fähigkeiten zur Fortbewegung und zur Assimilierung von Lebewesen. Besonders schaurig wurde dabei die Szene im Keller des Anwesens von Frank und Daisy Mallert beschrieben, die auch auf dem Titelbild zu sehen ist, und in der das HIRN, wie es von Satanas nur genannt wird, einen Polizisten attackiert. Eher zum Schmunzeln ist dagegen der "Spaziergang" des Hirns durch die nächtliche Stadt und auf die Ladefläche eines LKW. Umso bedrohlicher wirkt die absolute Gedankenkontrolle, die das Kollektivhirn über Menschen ausüben kann. Larry Brent bekommt diese Kontrolle am eigenen Leib zu spüren, als das Hirn die komplette Nachbarschaft mobilisiert, um den PSA-Agenten unschädlich zu machen. Der Spagat zwischen Action und Atmosphäre ist dem Autor in diesem Werk glänzend gelungen, ebenso wie das Verwirrspiel mit den Identitäten des Dr. Satanas. Sprachlich recht einfach strukturiert bleibt der Leser immerhin von den geliebten Anglizismen Dan Shockers verschont. Im Finale dann wird der Leser ein ums andere Mal überrascht und mit einem dramatischen Endkampf entlohnt. Darüber hinaus zeigt sich, dass auch Iwan Kunaritschew dem weiblichen Geschlecht gegenüber nicht abgeneigt ist.
Fazit: Durchweg spannender Satanas-Shocker mit einer fesselnden Story und einem packenden Finale. Für LARRY BRENT-Fans absolute Pflichtlektüre.


Besonderheiten:
Dr. Satanas wird zum ersten Mal festgenommen, entkommt am Ende aber wieder.


4 von 5 möglichen Kreuzen:
4 Kreuze


Kommentare zum Cover:

Die Szene soll vermutlich den Polizisten zeigen, der in den Keller des Mallertschen Anwesens eindringt und dort auf das Hirn trifft. Im Roman trägt der Beamte allerdings eine Uniform, während er auf dem Cover an Joachim Fuchsberger aus den Edgar Wallace-Filmen erinnert. Dass sich das Hirn wie eine überdimensionale Hand formt unterstreicht den Trash-Charakter. Nichtsdestotrotz ein stimmungsvolles Titelbild.


Coverbewertung:
3 Kreuze

Ein Zusatzhinweis zu dem Roman kommt von Michael Schick:
Das Titelbild des Romans wurde auch schon auf dem spanischen Comic-Magazin FANTOM Nr. 25 verwendet:

Fantom Nr. 25