Silber-Grusel-Krimi Nr. 51: Im Labyrinth des Ghuls
Dunkle Wolken hingen schwer am Himmel. Kein Stern, kein Mond leuchtete. Es
war finstere Nacht. Der Mann, der sich wie ein Schatten hinter dem hohen,
verwitterten Grabstein löste, hatte breite Schultern, kräftige,
affenähnliche Arme und stämmige Beine. Ungepflegtes Haar hing ihm
wirr ins Gesicht, das auffallend bleich war, als flösse kein Tropfen
Blut durch die Adern des einsamen Friedhofbesuchers. Die klobigen,
kräftigen Hände mit den langen Fingernägeln schabten trocken
über das rauhe Gestein. Der Ghul kehrte in sein Reich zurück.
von Jürgen Grasmück, erschienen am 30.01.1973, Titelbild: R.S.
Lonati
Rezension von
Bloemsemann:
Kurzbeschreibung:
Der Schriftsteller Janosz Bracziskowsky ist davon überzeugt, daß
es Wesen gibt, an die der moderne Mensch nicht mehr zu glauben vermag. Er
ist einem leibhaftigen Ghul, einem Leichenfresser auf der Spur. Aufgrund
seiner Nachforschungen und Veröffentlichungen über die verschiedensten
Schattenwesen interessiert sich auch X-RAY-1 für den Schriftsteller.
Larry Brent und Iwan Kunaritschew werden nach London gesandt, um Janosz
aufzusuchen bzw. ihn für die PSA zu gewinnen. Leider ist dieser Hals
über Kopf zu einer spontanen Reise aufgebrochen. Iwan trifft nur noch
Sandy Whorne an, die hübsche Sekretärin des Autors Larry hingegen
wird zu Inspektor Higgins abberufen, da dieser einige seltsame Vorgänge
auf dem lokalen Friedhof genauer unter die Lupe nehmen will. Er ist bei einer
Graböffnung nebst dem eigentlichen Bewohner des Sarges auf den frischen,
teilweise angenagte Leichnam von Paul Morey gestossen. In dem Grab findet
Larry eine Art Tunnel, welcher in ein Labyrinth unter dem Friedhof mündet.
Die PSA-Agenten sind sich sicher, auf das Werk eines Ghuls gestossen zu sein.
Bracziskowsky versucht derweil, auf der Osterinsel die Vergangenheit des
Ghuls aufzuklären. Hierbei stösst er auf die Geschichte von Johann
Karnhoff und seinem Sohn Franz. Beide sind auf dieser Insel in einer Höhle,
die von dem seltsamen Einsiedler Taikona bewacht wird, mit der Magie der
Göttin Rha-Ta-Nmy konfrontiert worden. Ihre Neugier blieb aber
nicht ohne Folgen: Johann wurde schwachsinnig und vegetiert auf der Insel
dahin, während sein Sohn dem abstossenden Leben eines Ghuls fröhnen
muss. Larry und Iwan versuchen eben diesen Franz Karnhoff ausfindig zu machen.
Bei Sandy Whorne werden sie fündig, denn der Ghul versucht sie zu
töten, da er glaubt, das junge Mädchen wüsste etwas über
die Nachforschungen ihres Arbeitgebers. Leider entwischt der Leichenfresser
den Agenten, schlägt sogar Larry nieder und verschleppt ihn in die Anstalt
von Dr.Anthony Flowfield, welcher seit längerem die Verhaltensweisen
des Ghuls studiert. Um seine Nachforschungen nicht zu gefährden, muss
der Nervenarzt Larry in seiner Anstalt auf Nimmerwiedersehen verschwinden
lassen. Währendessen kommt Bracziskowsky dem Geheimnis des Ghuls einen
entscheidenden Schritt näher doch er zahlt einen hohen Preis
für sein Wissen ....
Meinung:
Der titelgebende Ghul ist bei Dan Shocker kein schleimiges, bösartiges
Wesen aus dem Dämonenreich, sondern fast schon eine dramatische Figur,
welche zu einem ausweglosen Schicksal verdammt ist. Ein interessanter Rahmen
für eine sehr spezielle Geschichte um einen dieser Leichenfresser. Die
Jagd nach dem Ghul hat ihren ganz eigenen Charakter. Hinzu kommt noch die
etwas fantastisch anmutende Szenerie auf der Osterinsel. Die unheimliche
Atmosphäre der Eröffnungsszene, als Paul Morey dem Ghul in einem
schaurigen Keller begegnet, oder aber auch als Larry und Iwan ihre
Nachforschungen auf dem Friedhof beginnen, geht auf der Insel etwas verloren.
Hier wird viel mit magischem Hokuspokus um sich geworfen, verschiebbare
Felswände und ein Höllenfeuer präsentieren sich dem Leser
- auch wenn sich die Handlung um die Höhle Rha-Ta-Nmys nahtlos
in das Gesamtbild einfügt, die Szenerie erinnerte etwas an die Indiana
Jones-Filme und passt besser in die MACABROS-Serie. Insgesamt schafft Dan
Shocker hier eine ausgefeilte, unterhaltsame Geschichte, die mit dem dramatischen
Finale zu einem krönenden Abschluss kommt ...
3 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Der Ghul bei seiner Lieblingsbeschäftigung in dem unterirdischen Labyrinth.
Der darüberliegende Friedhof ist mit einer atmosphärisch schönen
Farbgebung versehen. Nur die beiden Figuren, speziell Franz Karnhoff sehen
etwas belustigend und comichaft aus. Die Idee mit dem Querschnitt durch den
Totenacker ist gewagt, aber auch mal etwas Neues. Nicht unbedingt ein Reisser,
dennoch akzeptiert ...
Coverbewertung:
Rezension von
Florian
Hilleberg:
Kurzbeschreibung:
In London scheint ein Ghul sein Unwesen zu treiben. Angefressene Leichen
werden gefunden. Die PSA schickt ihren besten Mann Larry Brent nach England,
damit dieser Chefinspektor Edward Higgins unterstützt. Zeitgleich soll
Larrys Kollege Iwan Kunaritschew den Schriftsteller Janosz Bracziskowsky
interviewen, der Bücher über düstere, bedrohliche Begebenheiten
verfasst, die nicht gänzlich erfunden sein können. Doch Bracziskowsky
ist verschwunden. Der Autor hat sich auf die Reise zu den Osterinseln begeben,
wo er auf den wahnsinnig gewordenen Johann Karnhoff trifft, der angeblich
tot sein soll, nachdem er gemeinsam mit seinem Sohn Franz eine Expedition
auf die Insel startete. Er wollte einer finsteren Gottheit auf die Spur kommen.
Karnhoff führt Bracziskowsky zu dem Einsiedler Taikona der die schwarze
Flamme der Dämonengöttin Rha-Ta-N'My hütet. Wer diese Flamme
passiert wird verliert entweder vollkommen den Verstand oder er treibt fortan
als leichenfressender Ghul sein Unwesen ...
Meinung:
Mit diesem Roman zeigt Dan Shocker, dass er sich bei der Schöpfung seines
Rha-Ta-N'My-Mythos stark an den Geschichten des unvergessenen H. P. Lovecraft
orientiert hat. Dies wird nicht nur durch den zungenbrecherischen Namen der
Dämonengöttin offenkundig, sondern auch durch Gestalten wie den
Ghul, der anders wie im gängigen Heftroman-Klischee nicht als schleimige,
wabbelnde Gruselgestalt daherkommt, sondern ein irregeführter Mensch
ist, der jenseits moralischer und ethischer Normen steht. Anders hat Shockers
Ghul auch lediglich das Verzehren toter Menschenkörper mit seinem
moslemischen Namensvetter gemein, welcher zum einen als gestaltloser Schemen
geschildert wird oder in materieller Form als weiblicher Dämon, die
seine Gestalt verändern kann und Wanderer ins Unglück stürzt,
sie tötet und verschlingt. Im vorliegenden Larry-Brent-Roman zeigt sich
die finstere Dämonengöttin für das entstehen des Leichenfressers
verantwortlich. Somit hat Rha-Ta-N'My hier ihren zweiten Auftritt, wenn auch
nicht persönlich. Genau wie Lovecraft vermeidet Shocker die Beschreibung
seiner unvorstellbaren Gottheit, was die Glaubwürdigkeit und das Mysterium
unweigerlich zerstören würde. Im Gegensatz zu den düsteren
und mit subtiler Spannung angereicherten Geschichten eines Lovecraft setzt
Dan Shocker in seinen Geschichten trotz aller Mystik eher auf effekthaschende
Spannungselemente, wie beispielsweise die Beschreibung der angefressenen
Leichen. Hinzu kommt eine gehörige Portion Action. Wie so oft hat der
Autor auch dieses Mal stark mit dem geringen Umfang des Heftromans zu
kämpfen und zwängt seine Geschichte, die durchaus Stoff für
zwei Hefte liefert auf 65 Seiten zusammen. So entbehrt der Roman zwar nicht
jener unheimlichen Gruselatmosphäre, wie sie nur Dan Shocker zu schaffen
vermochte, wirkt aber oftmals und wieder einmal vor allem am Ende stark
überhastet. Leider kommt dieser Roman nicht umhin einige gängige
Klischees zu bedienen und schildert eine psychiatrische Anstalt wie sie in
den Köpfen vieler auch heute noch herumgeistert. Grobschlächtige
Pfleger mit der Figur eines Preisboxers versehen dort ausnahmslos ihren Dienst.
Auch die medizinischen Kenntnisse des Autors lassen zu wünschen übrig.
So wollen die Pfleger dem PSA-Agenten ein Narkotikum subkutan verabreichen
und als Larry den Spieß umdreht dauert es keine fünf Sekunden
bis der Pfleger friedlich schlummert. Allerdings hat ein Narkotikum gar nicht
die Chance bei einer subkutan, als unter die Haut, gesetzten Injektion innerhalb
so kurzer Zeit in den Blutkreislauf zu gelangen.
Sehr merkwürdig stößt auch folgender Satz auf, der den Ghul
beschreiben soll: "Franz Karnhoff trug einen dunklen Anzug. Sein grobes
Gesicht und die ungepflegten, langen Haare passten nicht so recht zu seiner
Kleidung. Auch die schmutzigen Fingernägel nicht so recht zu der vornehmen
Kleidung." Nicht nur, dass er den Lesefluss unangenehm stört, wirkt
er darüber hinaus abgehackt und unangemessen. Weshalb das Finale nun
unbedingt in Rom spielen musste, wobei Dan Shocker umständlich neue
Charaktere einführt, anstatt die bekannten in London zu nehmen, um mehr
Freiraum für das Finale zu haben bleibt ein Mysterium, ebenso wie die
Gestalt der Dämonengöttin.
Fazit: Unheimlicher Gruselschocker aus der Feder Dan Shockers mit einigen
stilistischen Mängeln und kleinen dramaturgischen Schwächen.
Besonderheiten:
Erster Auftritt eines Ghuls innerhalb der Serie.
Zweite Erwähnung der Dämonengöttin Rha-Ta-N'My.
3 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Franz Karnhoff mit seiner nächsten Mahlzeit. Lonati hat den Ghul lebhaft
dargestellt und die düster-morbide Atmosphäre hervorragend
eingefangen.
Coverbewertung:
Das Titelbild zu diesem Roman wurde ebenfalls für den Silber-Grusel-Krimi
Nr. 219 "Berge des Wahnsinns" von Adrian Cole verwendet.